Auf die Sabbatschändung, der Arbeit am Sabbat, stand nach den mosaischen Gesetzen der Tod. Dazu gibt es im Alten Testament (Lutherbibel 2017, 4. Mose 15, 32–36), folgende Erzählung:
Als nun die Israeliten in der Wüste waren, fanden sie einen Mann, der Holz auflas am Sabbattag. Und die ihn dabei gefunden hatten, wie er Holz auflas, brachten ihn zu Mose und Aaron (älterer Bruder Mose, der Verfasser) und vor die ganze Gemeinde. Und sie legten ihn gefangen, denn es war nicht klar bestimmt, was man mit ihm tun sollte. Der HERR aber sprach zu Mose: Der Mann soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen draußen vor dem Lager. Da führte die ganze Gemeinde ihn hinaus vor das Lager und steinigte ihn, sodass er starb, wie der HERR dem Mose geboten hatte.
Das dazugehörige Gesetz (Elberfelder Bibel, 2. Mose 35, 2):
Sechs Tage soll man (seine) Arbeit verrichten, aber am siebten Tag ist Sabbat, (ein Tag) völliger Ruhe, heilig dem HERRN. Jeder, der am Tag des Sabbats eine Arbeit verrichtet, muss getötet werden.
Die Strafe ist mehr als nur unverhältnismäßig hoch, sie ist nicht nur aus heutiger Sicht maximal inhuman, auch wenn man bedenkt, dass der heilige Sabbat bereits damals eine enorm hohe Bedeutung für die Juden hatte. Das Konzept eines freien Tages in der Woche sollte den Menschen zugutekommen, aber dass jemand, der dieses Gebot bricht und damit freiwillig auf den Vorteil verzichtet, hingerichtet werden muss, lässt den Betrachter fassungslos zurück.
Wir gehen in der Zeit einen Schritt nach vorne. Das sogenannte Kindheitsevangelium nach Thomas (das nicht in den Bibelkanon aufgenommen wurde) berichtet vom fünfjährigen Jesus Christus:
Als dieser Knabe Jesus fünf Jahre alt geworden war, spielte er an einer Furt eines Baches; das vorbeifließende Wasser leitete er in Gruben zusammen und machte es sofort rein; mit dem bloßen Worte gebot er ihm. Er bereitete sich weichen Lehm und bildete daraus zwölf Sperlinge. Es war Sabbat, als er dies tat. Auch viele andere Kinder spielten mit ihm. Als nun ein Jude sah, was Jesus am Sabbat beim Spielen tat, ging er sogleich weg und meldete dessen Vater Joseph: „Sieh, dein Knabe ist am Bach, er hat Lehm genommen und zwölf Vögel gebildet und hat den Sabbat entweiht.“ Als nun Joseph an den Ort gekommen war und (es) gesehen hatte, da herrschte er ihn an: „Weshalb tust du am Sabbat, was man nicht tun darf?“ Jesus aber klatschte in die Hände und schrie den Sperlingen zu: „Fort mit euch!“ Die Sperlinge öffneten ihre Flügel und flogen mit Geschrei davon. Als die Juden das sahen, staunten sie, gingen weg und erzählten ihren Ältesten, was sie Jesus hatten tun sehen.
Hier werden viele nun einhaken und sagen, dass das Modellieren von Lehmvögeln eines Kindes nicht als Arbeit betrachtet werden kann. Aber das Sabbat-Gesetz wird so verstanden, dass auch Freizeitaktivitäten, darunter im Übrigen auch Sport, absolut tabu sind. Der in der Erzählung zitierte Jude sieht es als Entweihung des Sabbats, Vater Joseph spricht von etwas, das man nicht tun dürfe. In der damaligen Zeit hat man durchaus drakonische Strafen auch an Kindern angewendet. Für widerspenstige Söhne etwa ist die Steinigung vorgesehen (Lutherbibel 1984, 5. Mose 21, 18–21).
Hätte Jesus also schon im Kindesalter die Todesstrafe verdient gehabt? Hier aber rettet sich Jesus mit einem angeblichen Wunder. Als die Vögel wegflogen, dachte sicherlich niemand mehr an eine sehr harte Strafe, da man wohl ein göttliches Zeichen sah. Zwar mag es damals üblich gewesen sein, dass die Kinder im Lehm spielten, aber ich sehe da auch eine Anspielung auf das Material, aus dem Gott den ersten Menschen, Adam, erschaffen haben soll: eben Lehm. Die Botschaft: Auch Jesus kann aus Lehm Leben erschaffen, so gesehen eine Anspielung, dass er das kann, was auch Gott kann, bzw. dass er Gott ist.
Als Naturalist sehe ich die Bibel äußerst kritisch. Die beschriebenen Wunder kann es nicht gegeben haben, da sie wie alle Wunder (im strengen, also transzendentalem Wortsinn1) den Naturgesetzen widersprechen. Die Wissenschaft hat solche Verstöße gegen Naturgesetze nie festgestellt. Ich denke, es sind einfach Erzählungen, Metaphern. Wie viele der Erzählungen der Bibel wartet auch diese Geschichte aus dem Kindheitsevangelium mit einer überraschenden Pointe auf.
Nun stellt sich die Frage, ob das Sabbatschändungs-Gebot heute noch für Christen gilt: Jesus sagte in der Bergpredigt (Lutherbibel 2017, Matthäus 5, 17–206):
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Somit gälten die alten Gesetze des Alten Testaments auch für Christen. Viele Christen sind aber der Meinung, dass Jesus viele oder nahezu alle der alten Gesetze aufgehoben habe, da er betont hätte, es ginge ihm sinngemäß um den Geist der Gesetze, nicht um die wortgetreue Erfüllung. Das zeigt aber das Problem auf, dass die Bibel widersprüchlich ist und selbst eindeutige Passagen durch andere Passagen infrage gestellt werden können. Letztlich lässt sich mit viel Interpretation sowohl das eine als auch das Gegenteilige herauslesen.
Aber die alten Gesetze werden ohnehin durch weltliche Gesetze überlagert, zum Glück!
Wer heute in Deutschland gegen die Sonntagsruhe verstößt, indem er ohne Sondergenehmigung seinen Laden aufsperrt, wird nicht demnach nicht mehr so hart bestraft. Er muss mit bis zu 2.500 Euro Bußgeld rechnen. Aber er darf leben.
1 Im Umgangssprachlichen bezeichnet „Wunder“ auch einen sehr erstaunlichen Vorgang, der aber nichts Übernatürliches darstellt. Etwa: Es ist ein Wunder, dass er die Klasse doch noch geschafft hat.